Selbsterkenntnis ist nicht, sich suchen.
Sondern der Mensch findet sich in der Liebe zur Welt.
In einem Vortrag über die innere Entwicklung (als Hörbuch hier) schildert Rudolf Steiner ein häufiges Missverständnis über das höhere Selbst des Menschen. Man sage irrtümlicherweise, dass das höhere Selbst im Menschen lebe und man brauche nur sein Inneres sprechen zu lassen, und es werde sich einem die höchste Wahrheit offenbaren.
Nichts sei unfruchtbarer als diese Aussage!
Denn der Mensch versuche einmal, seinen inneren Menschen sprechen zu lassen. Auch wenn er sich noch so sehr einbilde, dass sein höheres Selbst zum Vorschein komme, es spreche doch nur sein niederes Selbst.
Denn richtig ist: das höhere (wahre) Selbst finden wir zunächst nicht in uns. Wir müssen es zuerst außerhalb von uns suchen.
Das hat nichts damit zu tun, dass man sich abhebt von der Welt oder gar in einem Nirwana auflöst. Überhaupt nicht! Die Erde ist unser Lebens- und Ausdrucksraum und mein wahres Selbst finde ich nur, indem ich mich als Mensch mit der Welt verbinde, also in einer erdverbundenen Art.
Der zeitgemäße Weg zum Erkennen des wahren Selbst führt über das Ergreifen der Bewusstseinsseele. Auf diesem Weg komme ich Schritt für Schritt zur wahren Selbsterkenntnis im Sinne des “Erkenne dich selbst.”
Die Grundlage hierfür ist das selbstlose Interesse für die geistige Welt. Also nicht, weil ich mir einen Vorteil davon erhoffe, sondern weil ich in aller Tiefe verstehe, dass es meine Aufgabe als Mensch ist, mich selbstlos für die Welt auch im Geistigen zu interessieren.
Wenn ich dann immer mehr erkenne, was das Wesen des Menschen wirklich ist und in mir ein Verhältnis zur Welt ausbilde, dann verwirkliche ich Schritt für Schritt das ganze Potenzial des Menschseins.
Dazu ein Zitat von Rudolf Steiner, das diese Gedanken in einem Satz zusammenfasst:
“Der Mensch wird immer mehr Mensch, indem er Ausdruck der Welt wird; er findet sich, indem er sich nicht sucht, sondern in Liebe sich wollend der Welt verbindet.”
(in: Anthroposophische Leitsätze (2020), GA 26, Seite 117)
Beginnt der Mensch hingegen, sich zu suchen, dann verliert er sich.
Er verliert immer mehr von seinem innerlich wesenhaft-menschlichen Ausdruck und er wird Ausdruck seines intellektuellen Eigenseins (ebd.).
Liebe muss im Verhältnis zur Außenwelt sich zunächst entfalten, sonst wird sie Selbstliebe. Und ist die Liebe in dieser Gesinnung da, dann wird Liebe zum anderen auch zurückstrahlen können ins eigene Selbst. Dieses wird lieben können, ohne sich selbst zu lieben.
Und auf den Wegen solcher Liebe ist das wahre Selbst, das “Ich-bin”, durch die Menschenseele zu finden (mehr über die Qualität des „Ich-bin“ in diesem Blog).
Wer im Verhältnis zur Außenwelt die Liebe pflegt, der findet dadurch das Verhältnis zur Innenwelt seiner Seele, das ihn mit dem “Ich-bin” zusammenführt (vgl. ebd. Seite 118).
So gelingt der zeitgemäße Weg zum Erkennen des wahren Selbst, des „Ich-bin.“
Das ist das Leben im Einklang mit dem Wesen des Menschseins.
Welche Gedanken bewegen Dich, welche Fragen sind entstanden? Gerne stehe ich für Austausch ein Stück Weg zur Verfügung.